Off-Label-Use gleicher Wirkstoffe

Es kommt gelegentlich vor, dass ein Wirkstoff in verschiedenen Arzneimitteln mit jeweils verschiedener Indikation vermarktet wird.

Ein “Paradebeispiel” ist der Wirkstoff Methylphenidat. Alle in Deutschland mit diesem Wirkstoff zugelassenen Präparate hatten bis Mitte 2011 eine Zulassung nur für Kinder und Jugendliche. Ab dem 18. Geburtstag war die Anwendung bei allen Patienten “Off-Label” – auch bei den Patientinnen und Patienten, die den Wirkstoff vorher vielleicht schon über Jahre eingenommen hatten.

Im Juli 2011 wurde das Präparat Medikinet® adult für die Behandlung der ADHS im Erwachsenenalter zugelassen.

Dies führte dazu, dass Patienten, die seit langem erfolgreich auf ein anderes Methylphenidat-Präparat mit anderer Freisetzungscharakteristik des Wirkstoffes eingestellt waren, nunmehr auf Medikinet® adult umsteigen sollten, um einen “Off-Label-Use” zu vermeiden. Aufgrund der unterschiedlichen Wirkstofffreisetzung zwischen den verschiedenen Präparaten kam es aber bei vielen Patienten nach der Umstellung auf Medikinet® adult zu Problemen.

Wollten diese Patienten ihr “altes” Methylphenidat-Präparat weiter einnehmen, blieb ihnen also erneut nur der “Off-Label-Use” – obwohl ein wirkstoffgleiches Präparat für ihre Altersgruppe nunmehr zugelassen war.

Die Situation war vergleichbar mit manchen generisch zugelassenen Arzneimitteln, deren Zulassung im Falle einer Zulassungserweiterung des Originalpräparats weiter auf dem ursprünglichen Stand bleibt, so dass diese Präparate trotz Wirkstoffgleichheit in einer, für das Originalpräparat neu zugelassenen Indikation, formal “Off-Label” sind.

Diese Problematik betrifft z. B. manche generischen Levodopa-Präparate, die zwar zur Behandlung des Morbus Parkinson zugelassen sind – nicht aber zur Behandlung von “Restless-Leg-Syndrom”. Auch der Wirkstoff Pregabalin ist in vielen Generika enthalten, die längst nicht alle die Zulassungserweiterung des Originalpräparates für die Indikation “generalisierte Angststörung” ebenfalls erhalten haben.

Manche Wirkstoffe sind unter verschiedenen Handelsnamen in vollkommen verschiedenen Indikationen zugelassen. So verfügt Doxazosin in manchen Präparaten über die Anwendungsbestimmung “benigne Prostatahyperplasie” – andere Doxazosin-Präparate hingegen sind zugelassen zur Behandlung der arteriellen Hypertonie.

Zu der Frage, ob bei Verwendung wirkstoffgleicher Arzneimittel ohne formelle Zulassung ein Haftungsrisiko entsteht, hatte das Bundesgesundheitsministerium in einem Schreiben mit Datum vom 21.10.2011 eine Stellungnahme abgegeben.

Vom Bundesgesundheitsministeriums wurde in diesem Schreiben klar geäußert, dass bei Verwendung einer wirkstoffgleichen Arzneimittel-Variante ohne formelle Zulassung “kein zusätzliches Haftungsrisiko” entstehen würde, weil “regelmäßig von einem bestimmungsgemäßen Gebrauch auch der anderen wirkstoffgleichen Arzneimittel auszugehen” sei. Weiter hieß es in diesem Schreiben: “Der pharmazeutische Unternehmer trägt auch für solche Anwendungen die verschuldungsunabhängige Gefährdungshaftung nach §84 Arzneimittelgesetz.

Hinzuzufügen ist, dass Apotheken gemäß “Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung” nach § 129 Absatz 2 SGB V (“Substitutionskriterien für Apotheken”) Arzneimittel auch über verschiedene Indikationen hinweg austauschen (müssen!):

Gemäß § 129 Abs. 1 Satz 2 SGB V muss ein Substitutions-Arzneimittel “für ein gleiches Anwendungsgebiet zugelassen” sein wie das ersetzte Arzneimittel. Damit ist eindeutig geregelt, dass es ausreicht, wenn zwei wirkstoffgleiche Arzneimittel wenigstens in einem einzigen Anwendungsgebiet übereinstimmen.
Dieses Anwendungsgebiet muss nicht dasjenige sein, dass der Verordnung im Einzelfall entspricht.

Alle Methyphenidat-haltigen Arzneimittel wurden vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) in eine gemeinsame Festbetragsgruppe eingeordnet. Hiergegen hatte der Hersteller von Medikinet® adult geklagt. Im BSG-Urteil B 3 KR 7/17 R vom 03.05.2018 urteilte das Bundessozialgericht, dass Medikinet® adult (wie auch Ritalin adult®) aus dieser Festbetragsgruppe nicht herausgenommen werden muss (obwohl andere Präparate in dieser Gruppe nicht für Erwachsene zugelassen sind).

Hinweis:

Auf dem Blog des Berufsverbands deutscher Nervenärzte in Baden Württemberg findet sich ein interessanter Beitrag vom Juni 2018 mit dem Titel Haftung und Regress bei Generika: Zwischen Skylla und Charybdis, der die verwirrenden Aspekte im Spannungsbogen aus Zulassungsrecht, Sozialrecht und Krankenkassenrechts-Verständnis beleuchtet.

Eine Arbeitshilfe für Apotheken zum Umgang mit "Aut idem" und Rabattverträgen in Bezug auf vermeintlich gleichartige und tatsächlich gleichwertige Arzneimittel steht auf dem Deutschen Apothekenportal zum Downoad zur Verfügung: Arbeitshilfe Rabattverträge – Rezepte ohne Aut-idem-Kreuz. Dieser Arbeitshife können wichtige Gesichtspunkte zur Frage der pharmazeutischen Arzneimittelgleichheit bzw. der Austauschbarkeit von Arzneimitteln entnommen werden. Dies ist Teil der Arbeitshilfen zum Rahmenvertrag 2019.

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