Festbetragsarzneimittel

Begutachtungsanleitung “Festbetragsarzneimittel”

Zur sozialmedizinischen Begutachtung von Fragen zu Festbetragsarzneimitteln wurde von einer Arbeitsgruppe der ehemaligen MDK-Gemeinschaft (jetzt MD) und dem GKV-Spitzenverband eine Begutachtungsanleitung “Festbetragsarzneimittel”, PDF-Dokument erarbeitet und am 3. Februar 2014 vom GKV-Spitzenverband als Richtlinie nach § 282 Abs. 2 Satz 3 SGB V erlassen.

Die Begutachtungsanleitung soll der Beurteilung dienen, ob ein “atypischerAusnahmefall” vorliegt, in dem die Krankenkasse die Kosten für die Aufzahlung eines Arzneimittels übernehmen muss, dessen Preis den jeweiligen Festbetrag übersteigt.

Die Begutachtungsanleitung greift die vom BSG im Urteil vom 03.07.2012 (Az. B 1 KR 22/11 R) entwickelten Kriterien auf. Kriterien, die von den BSG-Richtern nicht berücksichtigt worden waren (Galenik, Fragen der Bioverfügbarkeit, Wirkstoff-Freisetzungsverhalten, Qualitätsprobleme, Verunreinigungen, mögliche Arzneimittelfälschungen), werden in der Begutachtungsanleitung nicht berücksichtigt.

Festbetragsgruppenbildungen durch den G-BA

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) bestimmt nach § 35 Abs. 1 SGB V in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 SGB V, für welche Gruppen von ArzneimittelnFestbeträge festgesetzt werden können. Vom G-BA werden Arzneimittel mit denselben Wirkstoffen (Stufe 1), pharmakologisch-therapeutisch vergleichbaren Wirkstoffen, insbesondere mit chemisch verwandten Stoffen (Stufe 2) sowie Arzneimittel mit therapeutisch vergleichbarer Wirkung, insbesondere Arzneimittelkombinationen (Stufe 3), in Festbetrags-Gruppen zusammengefasst.

G-BA: Arzneimittel-Richtlinie: Anlage IX: Festbetragsgruppenbildung (früher: Anlage 2)G-BA: Abschlussberichte Arzneimittel: Bildung Festbetragsgruppen (IX)G-BA: Beschlüsse Arzneimittel: Bildung Festbetragsgruppen (IX)

Die Prinzipien der Festbetragsgruppenbildung wurden 2005 in einem Dokument des Unterausschusses Arzneimittel beim G-BA zusammengefasst und können auf der G-BA Webseite “Entscheidungsgrundlagen zur Festbetragsgruppenbildung” – PDF-Dokument eingesehen bzw. heruntergeladen werden.

Zu diesem Zweck ermittelt der G-BA auch die nach § 35 Abs. 3 notwendigen rechnerischen mittleren Tages- oder Einzeldosen (siehe auch “Daily Defined Dose”) oder andere geeignete Vergleichsgrößen.

Festbetragsfestsetzung durch GKV-Spitzenverband

Der GKV-Spitzenverband setzt für durch den G-BA gebildete Festbetragsgruppen einen Festbetrag fest. Gemäß § 35 Abs. 5 Satz 2 SGB V sollen Festbeträge einen wirksamen Preiswettbewerb auslösen und sich dazu an möglichst preisgünstigen Versorgungsmöglichkeiten ausrichten. Die Höhe des jeweiligen Festbetrags ist ebenfalls gesetzlich bestimmt. Danach müssen mindestens 20 Prozent der Verordnungen und 20 Prozent der Packungen zum Festbetrag verfügbar sein (§ 35 Abs. 5 Satz 5 SGB V).

Übersicht über Festbetragsarzneimittel und Festbetragsfestsetzungen

Das ehemalige “Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI)” veröffentlichte 14-tägig die vom GKV-Spitzenverband erstellten Übersichten über sämtliche Festbetragsarzneimittel auf seinen Internetseiten. Dieses Institut existiert mittlerweile nicht mehr bzw. wurde in das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) eingegliedert.

Der GKV-Spitzenverband stellt im Internet eine Übersicht aller Beschlüsse zu Festbetragsfestsetzungen bereit. Diese gibt einen Überblick über alle Festbetragsgruppen und die jeweils umfassten Einzelwirkstoffe. Übersicht aller Beschlüsse zu Festbetragsfestsetzungen beim GKV-Spitzenverband.

Festbetragsarzneimittel sind bei deutlicher Unterschreitung des Festbetrags zuzahlungsfrei. Eine ständig aktualisierte Liste der zuzahlungsfreien Medikamente bietet das Aponet der deutschen Apothekerinnen.
Weitere Infos zu zuzahlungsbefreiten Arzneimitteln finden sich ebenfalls auf den bietet das Aponet-Seiten. Die zuzahlungsbefreiten Arzneimittel sind nicht identisch mit Rabattvertrags-Arzneimitteln.

Festbeträge und Rabattverträge

In vielen Fällen ist die Festbetragsfestsetzung in der Praxis weniger relevant als ein im Einzelfall bestehender Rabattvertrag einer Krankenkasse. Informationen über ggf. bestehende Rabatte bzw. die aus einem Rabattvertrag resultierende Zuzahlungs-Situation im Einzelfall lassen sich im Internet über folgende Datenbank finden:

Um festzustellen, ob eine Krankenkasse zu einem bestimmten Arzneimittel einen Rabattvertrag ausgehandelt hat, ist eine Suche auf den Seiten des Deutschen Apothekerverbandes nach Rabattverträgen hilfreich; hier kann auch gezielt nach einer einzelnen Kasse gesucht werden (z.B. so: Rabattverträge der Barmer).

Das Deutsche Apotheken Portal bietet zudem einen Rabattvertrags-Monitor, der nach Auswahl einer Krankenkasse die rabattierten Wirkstoffe der ausgewählten Krankenkasse mit Start- und Enddatum anzeigt.

Substitutionsausschlussliste

Ursprünglich sollten der Deutsche Apothekerverband und der GKV-Spitzenverband gemeinsam eine Substitutionsausschlussliste erstellen. Diese sollte alle Medikamente aufführen, deren Substitution durch wirkstoffgleiche Arzneimittel aus medizinischen bzw. pharmazeutischen Gründen unterbleiben sollte. Es wurde aber in den entsprechenden Verhandlungen – trotz Anrufung der Schiedsstelle – keine Einigung erzielt2. Letztlich übertrug der Gesetzgeber diese Aufgabe dem G-BA mit Wirkung zum 1. April 2014. Er gab dabei vor, dass vor allem Arzneimittel mit geringer therapeutischer Breite berücksichtigt werden sollen (§ 129 Abs. 1a Satz 2 SGB V).

Grundsätzlich verpflichten die Regelungen in Anlage VII der Arzneimittelrichtlinie die Apotheken zur Abgabe preisgünstiger Arzneimittel, wenn der verordnende Arzt ein Arzneimittel nur unter seiner Wirkstoffbezeichnung verordnet hat oder die Ersetzung des Arzneimittels durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel nicht – per “Aut idem“-Kreuz – ausgeschlossen hat.

Seit dem 10.12.2014 ist die Anlage VII der Arzneimittelrichtlinie in zwei Teile gegliedert:

Im Teil A der Anlage VII der Arzneimittelrichtlinie finden sich seither die Regelungen zur Austauschbarkeit von Darreichungsformen (aut idem) von Arzneimitteln (Aut-idem-Regelungen) gemäß § 129 Abs. 1a Satz 1 SGB V.

Teil B der Anlage VII enthält die sogenannte Substitutionsausschlussliste. In dieser legt der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) fest, für welche Wirkstoffe in der jeweils betroffenen Darreichungsform ein generelles Austauschverbot gilt. Betroffen sind vor allem Wirkstoffe mit enger therapeutischer Breite, bei denen schon eine geringfügige Änderung der Dosis oder Konzentration des Wirkstoffes zu klinisch relevanten Wirkungsveränderungen führt.

Medikamentengruppen, bei denen sich aufgrund der indikationsbegründenden Diagnose / der betroffenen Patientengruppe in Einzelfällen pharmazeutische bzw. ärztliche Bedenken hinsichtlich eines Präparate-Tauschs ergeben, finden sich in der Substitutionsausschlussliste nur in sehr geringer Anzahl; Medikamente mit verzögerter Freisetzung und (ggf. patentierter) spezifischer Retardierungsform, für deren Substitution nach Einschätzung der DPhG (Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft e. V.) eine Substitution stets kritisch hinterfragt werden sollte (Leitlinie “Gute Substitutionspraxis”), finden keine Erwähnung.

Pharmazeutische Gesichtspunkte

Von pharmazeutischer Seite wurden und werden bezüglich des Präparate-Austauschs bei bestimmten Arzneimittelgruppen immer wieder Pharmazeutische Bedenken geäußert.
Vertraglich verankert ist die Möglichkeit, Pharmazeutische Bedenken anzuwenden, in folgenden Vereinbarungen:

Nach den Bestimmungen des Rahmenvertrags nach § 129 Absatz 2 SGB V (neu gefasst durch Schiedsspruch gemäß § 129 Absatz 4 Satz 2 SGB V, mit Wirkung ab dem 1. Juni 2016) kann ein Apotheker/eine Apothekerin bei Pharmazeutischen Bedenken ein Sonderkennzeichen oder einen Vermerk auf dem Rezept aufbringen, wenn er oder sie aufgrund pharmazeutischer Bedenken anstelle eines rabattierten oder eines Festbetragsarzneimittels ein Originalpräparat herausgegeben hat.
Der DAV-Kommentar zu § 4 (3) Rahmenvertrag lautet wörtlich:

2. Pharmazeutische Bedenken
Ebenfalls besteht die Möglichkeit, von der Verpflichtung zur Abgabe rabattbegünstigter Arzneimittel abzusehen, wenn der Abgabe aus Sicht des Apothekers im konkreten Einzelfall pharmazeutische Bedenken (§ 17 Absatz 5 Apothekenbetriebsordnung) entgegenstehen. […]
Pharmazeutische Bedenken bestehen, wenn durch den Präparateaustausch trotz zusätzlicher Beratung des Patienten der Therapieerfolg oder die Arzneimittelsicherheit im konkreten Einzelfall gefährdet sind.”

Eine wissenschaftliche Auswertung dokumentierter Fälle, in denen Apotheker eine Substitution aufgrund pharmazeutischer Bedenken nicht durchgeführt hatte, wurde 2016 publiziert:

Das Deutsche Apotheken-Portal enthält eine Liste kritischer Arzneimittelgruppen sowie Kritischer Darreichungsformen und Kritischer Patientengruppen laut Leitlinie der DPhG (Deutsche Pharmazeutische Gesellschaft e. V.) zur guten Substitutionspraxis.

Zusatz- und Begleit-Stoffe (Hilfsstoffe, Farbstoffe)

Das in (seltenen) Einzelfällen Zusatz- und Begleit-Stoffe wie Farb- und Füllstoffe zu individuellen Unverträglichkeitsreaktionen oder Intoleranzen führen können, ist im Prinzip unstrittig. Schwierig ist der Nachweis im Einzelfall.

Beispiel: Galelli et al. berichten über das Auftreten schwerer Unverträglichkeitsreaktionen nach Wechsel auf ein Generikum, dem andere Hilfs- und Farbstoffe beigemischt waren als dem Original:

Informationen zu unterschiedlichen, in den einzelnen Präparaten eingesetzten Hilfsstoffen, lassen sich in den offiziellen Arzneimittel-Datenbanken des Bundes beim BfArM prinzipiell zwar einsehen; eine Recherche ist jedoch mühsam und extrem zeitaufwendig, da keine vorgefertigten Filter für einzelne Hilfsstoffe oder gar für häufig gemeinsam eingesetzte Hilfsstoff-Gruppen zur Verfügung stehen. Zudem ist eine eingrenzende Suche zur Identifikation und zum Vergleich von Arzneimittelgruppen mit oder ohne bestimmte Hilfsstoffe nicht vorgesehen. Es können nur nacheinander Recherchen zu allen Hilfsstoffen durchgeführt werden, die beim Originalpräparat nicht aufgeführt sind.

Galenik

Informationen zur unterschiedlichen Galenik der verschiedenen Präparate lassen sich in den BfArM-Datenbanken nicht finden.

Bioäquivalenz

Verträglichkeitsprobleme, die sich aus zulässigen Abweichungen der Wirkstoff-Bioverfügbarkeit aufgrund der gesetzlichen Bioäquvalenz-Definition ergeben, werden weder in dem Arzneimittel-Informationssystem (AMIS) noch in der Begutachtungsanleitung “Festbetragsarzneimittel” angesprochen.

Qualitätskontrolle bei multinationalen Herstellungsprozessen und Handelswegen

Meldungen

Siehe hierzu auch:

Literatur

Die Autoren einer Studie überprüften die pharmazeutische Qualität von acht generischen Ceftriaxon-Produkten, die in Ostasien hergestellt worden waren. Alle acht Produkte entsprachen nicht den geforderten Standards und wiesen zudem Verunreinigungen auf:

Zu der Problematik der ungenügenden pharmazeutischen Qualität mancher Arzneimittelprodukte, die in Ländern mit unzureichenden Kontrollmechanismen und/oder weit entfernt von dern Haupt-Verbraucherländern hergestellt werden, finden sich zahlreiche Publikationen in der weltgrößten Datenbank medizinischer Fachliteratur, der Medline. Hier einige weitere Beispiele:

Ein Artikel von Simpson et al. betrachtet speziell die schwierige Rolle der Ethikkommissionen, die die pharmazeutische Forschung in Indien begleiten:

Vertriebswege und Kontrolle: Eine Publikation führt eine qualitative Analyse von Daten aus dem so genannten “Tracing Pharmaceuticals in South Asia”-Projekt durch. Im Rahmen dieses Projekt wurde der Weg dreier Arzneimittel-Zubereitungen (Rifampicin, Oxytocin and Fluoxetin) von der Herstellung bis zum Patienten nachverfolgt:

Pharmakovigilanz-Forschung: Eine Publikation von Trippe et al. liefert Anhaltspunkte dafür, dass vermehrte Nebenwirkungsmeldungen (ICSR= individual case safety reports; hier in der WHO-Datenbank VigiBase® durchgeführt) dazu genutzt werden könnten, Medikationsprobleme durch Medikamentenwechsel oder durch Qualitätsmängel zu entdecken:

Öffentliche Wahrnehmung, Erwartungshaltungen, Compliance

Problematisch kann sich sowohl die Einstellung des Verordners, des abgebenden Apothekers als auch des Patienten/der Patientin auswirken.

Diese indische Studie fand einen negativen Effekt negativer Patienten-Erwartung gegenüber Generika versus Originalpräparaten:

Erwartungshaltung: Eine britische Studie fand sowohl bei Ärzten als auch bei Apothekern und Patienten in einem hohen Prozentsatz eine negative Einstellung gegenüber generischen Medikamenten. Der Glaube, dass Generika weniger wirksam sind als Originalpräparate, war unter medizinischen Laien besonders verbreitet:

Nocebo-Effekte: Die Autoren um Hansen et al. untersuchten, ob Patienten ein identisches “Pseudo-Generikum”, das vom Hersteller des Original-Produktes als Generikum vermarktet oder lizensiert wurde, genau so häufig gegen das Original-Produkt austauschen wie Patienten, die ein “echtes” Generikum einnahmen. Sie fanden keine Unterschiede:

Vulnerable Patientengruppen / Indikationen

Eine Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2016 untersuchte die Aussagen von 68 Publikationen zu Medikationswechseln zwischen Original-Präparaten und Generika bei Epilepsie-Patienten.

Als ursächlich für die aufgetretenen Probleme wurden sowohl pharmakokinetische Unterschiede der Arzneimittel als auch patientenspezifische Eigenheiten ausgemacht. Das Fazit der Autoren besteht darin, dass ein Wechsel von Originalpräparaten auf Generika oder von einem Generikum auf das andere bei gut antiepileptisch eingestellten nicht vorgenommen werden sollte:

Die Autoren einer, 2017 publizierten Arbeit, vertreten die Hypothese, dass Wechsel zwischen Generika eher zu Unverträglichkeitsreaktionen oder Verlust der therapeutischen Wirksamkeit führen können als der Wechsel zwischen Generikum und Original. Diese Autoren bemerkten zudem, dass anhand ihrer eigenen Erfahrungen sowie vorhandener Daten nur wenige Patienten Unverträglichkeitsreaktionen oder einen Verlust der therapeutischen Wirksamkeit aufgrund eines Präparate-Wechsels gezeigt hätten:

Eine evidenzbasierte kanadische Leitlinie enthält die Empfehlung, Patienten, die bereits auf ein Original-Präparat eingestellt sind und darunter ein gutes therapeutisches Ansprechen zeigen, nur nach sorgfältiger Nutzen-Risiko-Analyse auf ein Generikum umzustellen, da man hierbei immer mit dem Verlust der therapeutischen Effektivität rechnen müsse. (PMC-Volltext)

Zu ähnlichen Ergebnisse war bereits eine Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2013 gekommen:

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