Abgrenzung / Begriffsklärung / Synonyme
Bei der Methode “dendritische Zelltherapie” handelt es sich um einen Methoden-Oberbegriff. Im Detail unterscheiden sich die Protokolle der Herstellung und Anwendung beträchtlich.
Prof. Bernd Jahrsdörfer, erklärte gegenüber der Online-Zeitung Südwesten:
“Wissenschaftliche Aussagen über den Erfolg solcher Therapien lassen sich nur sehr begrenzt machen.”
In dem Artikel vom 26.09.2017 heißt es weiter:
Ein Hauptproblem sieht er darin, dass das Gros der Präparate sehr schwer vergleichbar sei. “Der Herstellungsprozess differiert extrem. Jeder Hersteller hat eigene Methoden und Qualitätsstandards etabliert.”
- Anwendungen dendritischer Zellen lassen sich grundsätzlich danach unterscheiden, ob und mit welchem Erkennungsmerkmal (den Tumor charakterisierendes Peptid, Antigen, “Tumorigen” oder “Immunogen”) die dendritischen Zellen für die Therapie “beladen” oder “geprimt” oder “gepulst” werden, wie und unter welchen Umständen die “Bindung” der Antigene an die dendritischen Zellen konkret realisiert wird – oder ob auf eine Antigenbeladung gänzlich verzichtet wird .
- Weiterhin existieren spezielle Anwendungsvarianten, z. B. unter Nutzung von Viren als zusätzlichen Immunaktivatoren oder auch Kombinationen mit anderen Immunzellen.
- Es existieren Anbieter von “Tumorimpfungen” in Deutschland, die dendritische Zellen verwenden, ohne diese in eine spezifische, den jeweiligen Tumor gezielt bekämpfende Form zu überführen.
Beschreibung / Funktionsprinzip / Hintergrund
Die Funktion der dendritischen Zellen im Immunsystem besteht natürlicherweise darin, den so genannten “Effektorzellen” des Immunsystems Erkennungsmerkmale für “Feinde” wie z. B. Bakterien oder Tumorzellen zu präsentieren, damit diese die “Feinde” leichter erkennen und eine zielgerichtete Immunaktivität entfalten können. Sie gelten als die wichtigsten “Antigen-präsentierenden Zellen” (APC) im Immunsystem.
Eine kurze Erklärung findet sich auf den Informationsseiten des Krebsinformationsdienstes beim DKFZ.
Die meisten Anwendungen dendritischer Zellen geschehen im Groben nach folgendem Prinzip:
Vorläufer der dendritischen Zellen werden durch eine Blutentnahme gewonnen, in mehreren Schritten gereift und aktiviert. Zur Herstellung einer tumorspezifischen Vakzine werden diese Zellen dann durch Zusammenbringen mit Tumorbiomarkern der Patienten oder mit anderen Immunogenen “ausgebildet” und anschließend den Patienten mittels Injektion oder Infusion wieder zugeführt.
Bewertung der allgemeinen Evidenz
Eine einheitliche Methode, die auch einheitlich hinsichtlich Risiken und Wirksamkeit zu bewerten wäre, existiert nicht.
Der Enthusiasmus der Vertreter dieses therapeutischen Ansatzes ist groß. Bereits Anfang des Jahrtausends wurde eine zunächst international als Durchbruch der Forschung gefeierte Arbeit einer Göttinger Arbeitsgruppe in der Zeitschrift “Nature Medicine1” publiziert. Aufgrund grober wissenschaftlicher Fehler und nicht ausräumbarem Fälschungsverdacht wurde diese Publikation im Jahr 2003 von den Autoren offiziell zurückgezogen2
Die ausgesprochen lange Zeitdauer der wissenschaftlichen Aufarbeitung und Klärung, die bis zur endgültigen Rücknahme der Publikation verging, war Anlass zu einem Kommentar der Herausgeber von Nature Medicine3
Nach nunmehr rund drei Jahrzehnten intensiver Forschung existieren lediglich für einige wenige, gemäß spezieller Herstellungs- und Anwendungsprotokolle angewendete Zubereitungen dendritischer Zellen, Daten aus kontrollierten klinischen Studien, welche auf ein – für die geprüften Indikationen und im Vergleich zu den jeweils geprüften Vergleichstherapien – günstiges Nutzen-Risiko-Profil hindeuten:
In den USA war 2010 der erste dendritische Tumorimpfstoff (Provenge®) zentral zugelassen worden; eine Zulassung zentral für Europa erfolgte wenig später. Dieses “Pionier-Produkt” mit der Bezeichnung Provenge® oder “Sipuleucel-T”, wurde mitsamt der Herstellerfirma Dendreon Anfang Februar 2015 von der Firma Valeant Pharmaceuticals übernommen. In diesem Zusammenhang erfolgte die Rückgabe der europäischen Zulassung durch die Herstellerfirma Dendreon. Die Rücknahme der Zulassung durch die EMA erfolgte mit Datum vom 19.05.2015. Seither besteht in Europa für diesen Tumorimpfstoff keine Zulassung mehr.
Die Herstellerfirma von Provenge wechselte später erneut den Besitzer und der Tumorimpfstoff wird in den USA (wo er weiter zugelassen ist) auch vermarktet. Der wirtschaftliche Erfolg ist allerdings eher gering, da die meisten Onkologen und Urologen wirksamere Alternativen mit günstigerer Nutzen-Kosten-Relation bevorzugen. Die Wirksamkeit von Provenge wird – im Vergleich zu den Alternativen – als eher gering einschätzt.
Für weitere dendritische Tumorimpfstoffe wurden im zentralen europäischen Verfahren bislang lediglich Anerkennungen für eine weitere Erforschung und ggf. spätere Zulassung als (“Arzneimittel für seltene Leiden”) beantragt und in einigen Fällen wurde eine Anerkennung für Dendritische-Zell-Präparate bei der EMA als Orphan Drugs ausgesprochen.
In Deutschland wurde für ein dendritisches Tumorimpfstoff-Produkt (DCVax-L) eine nationale Zulassung zur Anwendung in der adjuvanten Therapie des Glioms bei erwachsenen Patienten (Erstdiagnose oder Rezidiv) nach Tumorresektion und Standardtherapie durch das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) erteilt.
Prinzipiell ist festzuhalten, dass nur für Zellprodukte, die bereits ein Zulassungsverfahren erfolgreich durchlaufen haben, Daten aus klinischen Studien sowie Daten zur Beurteilung der Herstellungsqualität ein positives oder zumindest akzeptables Nutzen-Risiko-Verhältnis belegen.
Für dendritische Zelltherapie-Zubereitungen, die als Eigenentwicklungen außerhalb von Studien vertrieben werden, sind in der Regel keine Einzelheiten zu wichtigen Punkten der Herstellungs- und Anwendungsprotokolle veröffentlicht. Ein Vergleich mit bereits im Rahmen einer Zulassung – oder zumindest der Anerkennung als (“Orphan Drug”) – geprüften und positiv bewertenten Präparaten ist bei undokumentierten Labor-Eigenentwicklungen nicht oder nur sehr eingeschränkt möglich.
Bei Anwendungen dendritischer Zellen unter Verzicht auf die Zugabe eines Faktors zur Förderung der gezielten Tumorerkennung ist vor dem Hintergrund aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse ein relevantes Risiko für mögliche Krankheitsverschlimmerung/Beschleunigung des Tumorzellwachstums nicht auszuschließen und eine solche Behandlung stößt daher auf Sicherheitsbedenken:
Verschiedene Forschungsergebnisse haben gezeigt, dass dendritische Zellen das Tumorwachstum gerade fördern können (4,5,6,7,8).
Legalstatus
- Es handelt sich generell um eine Arzneitherapie vom Typ der Advanced Therapy Medicinal Products (ATMP). Für Arzneimittel dieses Typs bestehen gesonderte Regelungen der Zulassung und Herstellung. Eine Herstellungserlaubnis ist auch für individuelle Heilversuche erforderlich.
- Anwendungen dendritischer Zellen können als so genannte “Neue Untersuchungs- oder Behandlungsmethode” (“NUB“) im Sinne des Sozialrechts einzuordnen sein, da ihnen jeweils ein eigener theoretisch-wissenschaftlicher Hintergrund zugrunde liegt.
- Ärzte, die dendritische Zelltherapien zur Krebsbehandlung als Privatleistung anbieten, tun dies bei lebensbedrohlich kranken Menschen. Diese Patienten – oder deren Hinterbliebene – werden bei solchen privatärztlichen Angeboten mit möglicherweise hohen Kosten belastet.
- Ärzte, welche dendritische Zelltherapien zur Krebsbehandlung in großem Umfang anwenden, schädigen indirekt Anbieter bzw. Hersteller, die ihre Produkte unter Beachtung der Regeln für eine gute Forschungs- und Herstellungspraxis (Additional Monitoring) entwickeln.
- Außerhalb registrierter klinischer Studien werden mögliche Patientenschäden nicht systematisch erfaßt – und Schutzbestimmungen für Patienten in klinischen Studien finden keine Berücksichtigung.
- Hinsichtlich regelmäßiger, bei einer Vielzahl von Patienten durchgeführter Behandlungen mit dendritischen Zelltherapien ist aus Sicht des Patientenschutzes die Frage zu stellen, ob eine solche gehäufte Anwendung eines nicht zugelassenen ATMPs, ausschließlich auf der Grundlage einer behördlich erteilten Herstellungserlaubnis, im Einklang mit den Regelungen des Arzneimittelgesetzes zum Patientenschutz sowie den internationalen Regelungen der “Guten klinischen Praxis” (Good Clinical Practice) möglich ist.
- Gemäß BSG-Urteil vom 18.05.2004 (Az. B1 KR 21/02 R, Randziffer 29) kann “aus verbotswidrigem Handeln grundsätzlich keine Leistungspflicht der Krankenkasse erwachsen“.
- Artikel im “Medizinischen Sachverständigen” zu Dendritischen Zellen.
- Kommentar zum Beschluss de Bundesgerichtshofs vom 30.10.2013 (IV ZR 307/12) bei “Kostenlose Urteile”: Anspruch auf Versicherungsschutz bei Anwendung einer alternativen Behandlungsmethode bei unheilbarer Krankheit.
- OLG Bremen, Urteil vom 30.11.2015 – 3 U 65/13: Private Krankenversicherung: Anforderungen an die Erfolgsaussichten einer alternativen Behandlungsmethode für die Beurteilung ihrer medizinischen Notwendigkeit bei unheilbarer Krankheit.
- Anwalt.de vom 11.04.2016: Kostenerstattung für dendritische Zelltherapie (Kommentar von RA Heiko Effelsberg, LL.M.).
Qualität
Die Herstellung von Impfstoffen unter Nutzung dendritischer Zellen stellt außerordentliche Anforderungen an die Qualitätssicherung und Dokumentation aller Prozesse. Im Falle des vormals sowohl in den USA als auch in Europa zugelassenen Produkts Provenge® traten immer wieder Lieferschwierigkeiten aufgrund von Problemen im Qualitätsmanagement bzw. der Produktqualität auf9.
Eine klinische Anwendung dendritischer Zell-Impfstoffe in, nicht für die Anwendung bei einer größeren Patientenzahl geprüfter, und nicht für eine Methodenbewertung ausreichend dokumentierter Qualität; lediglich auf dem Boden einer Herstellungserlaubnis, gewährleistet keine Qualität der Arzneimittelversorgung, wie sie unter Berücksichtigung des Qualitätsgebotes der GKV und auch speziell bei lebensbedrohlich Erkrankten im Hinblick auf § 2 Abs. 1a SGB V zu fordern ist.
Alternativen
In vielen Fällen, in denen Patienten Anträge auf Kostenübernahme für dendritische Zelltherapien bei ihrer Krankenkasse stellen, zeigte sich bei genauer Betrachtung, dass es im Einzelfall andere Behandlungsoptionen mit wissenschaftlich besserer Datenlage gab – wenn man die vorhandenen Leitlinien der AWMF bzw. der DGHO zugrundelegte.
Jede Behandlungsentscheidung in Fällen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung sollte berücksichtigen, was einerseits eine alternative, von dem Patienten oder der Patientin gewünschte Behandlung zu leisten vorgibt und was andererseits eine anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlungen zu leisten vermag. Um nachvollziehen zu können, dass eine Alternativtherapie ein, über die Möglichkeiten der Schulmedizin hinausgehendes Behandlungsziel erreichen kann, müssen geeignete wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse müssen auf die jeweils im Einzelfall vorliegende Erkrankung zu beziehen sein. Dies gilt auch für die dendritische Zelltherapie.
Quellen
Ergänzungen/Belege/Literatur:
1. Kugler A, Stuhler G, Walden P, Zöller G, Zobywalski A, Brossart P, Trefzer U, Ullrich S, Müller CA, Becker V, Gross AJ, Hemmerlein B, Kanz L, Müller GA, Ringert RH. Regression of human metastatic renal cell carcinoma after vaccination with tumor cell-dendritic cell hybrids. Nat Med. 2000 Mar;6(3):332-6.
2. Kugler A, Stuhler G, Walden P, Zöller G, Zobywalski A, Brossart P, Trefzer U, Ullrich S, Müller CA, Becker V, Gross AJ, Hemmerlein B, Kanz L, Müller GA, Ringert RH. Retraction: Regression of human metastatic renal cell carcinoma after vaccination with tumor cell-dendritic cell hybrids. Nat Med. 2003 Sep;9(9):1221.
3. The long road to retraction. Nat Med. 2003 Sep;9(9):1093.
4. Barbara Bachtler Pressestelle. MDC- u. Charité-Forscher identifizieren Immunzellen als Wachstumsbeschleuniger von Lymphdrüsenkrebs. Pressemeldung des Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) Berlin-Buch vom 30.09.2014.
5. Heinig K, Gatjen M, Grau M, Stache V, Anagnostopoulos I, Gerlach K, Niesner RA, Cseresnyes Z, Hauser AE, Lenz P, Hehlgans T, Brink R, Westermann J, Dorken B, Lipp M, Lenz G, Rehm A, Hopken UE. Access to follicular dendritic cells is a pivotal step in murine chronic lymphocytic leukemia B cell activation and proliferation. Cancer Discov. 2014 Sep 24. pii: CD-14-0096.
6. Osorio F, Fuentes C, López MN, Salazar-Onfray F, González FE. Role of Dendritic Cells in the Induction of Lymphocyte Tolerance. Front Immunol. 2015 Oct 20;6:535. doi: 10.3389/fimmu.2015.00535. eCollection 2015. Review.
PMID: 26539197.
7. Michael BD, Syndikus I, Clark A, Baborie A. Diffuse primary leptomeningeal melanocytosis in a patient receiving a novel cancer cell vaccine for prostate cancer. BMJ Case Rep. 2010 May 4;2010. pii: bcr1120092495. doi: 10.1136/bcr.11.2009.2495.
8. Melief CJ. Cancer immunotherapy by dendritic cells. Immunity. 2008 Sep 19;29(3):372-83. doi: 10.1016/j.immuni.2008.08.004. Review. PMID: 18799145.
9. Siehe diesbezüglich Daten zur Produktgeschichte bei der FDA.
Weblinks
- Access to follicular dendritic cells is a pivotal step in murine chronic lymphocytic leukemia B-cell activation and proliferation.
- AETNA Clinical Policy: Cancer Vaccines
- Arzneimittel aus/oder mit dendritischen Zellen – Recherche in der EMA-Datenbank
- Blue Cross and Blue Shield System Special Report: Vaccines for the Treatment of Prostate Cancer
- Dendritic cell-mediated survival signals in Eμ-Myc B-cell lymphoma depend on the transcription factor C/EBPβ.
- idw-Meldung: “MDC- u. Charité-Forscher identifizieren Immunzellen als Wachstumsbeschleuniger von Lymphdrüsenkrebs”
- Meldung der Pressestelle des Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC)
- The ratio between dendritic cells and T cells determines the outcome of their encounter: proliferation versus deletion.