Abgrenzung / Begriffsklärung
Die Molekulargenetik umfasst eine ständig wachsende und sich ausdifferenzierende Anzahl von Einzelmethoden.
Zu diesen gehören u.a. (ohne Anspruch auf Vollständigkeit):
Array-CGH, Matrix-CGH, aCGH, DNA-Mikro-Array, Gen-Array, Chip-CGH, Chipdiagnostik, DNA-Chip, Biochip, Genom-Chip, Gen-Chip, Genexpressionsprofil, komparative genomische Hybridisierung auf einem Chip, genomweite Hybridisierung, DNA-Sequenz-Analyse, Oligonukleotid -Array-Sequenz-Analyse; genomische Hybridisierung, Transkriptomanalyse, Transkriptionsanalyse, Genexpressionsanalyse, Gensignatur, Genprofil, Onkobiogramm, molekulare Zytogenetik, Genregulation, Untersuchung auf Nukleotidpolymorphismen, Untersuchung auf Copy-number-variations (CNV), Untersuchung auf Single-nucleotide-polymorphisms (SNP); konventionelle “Sequenzierung nach Sanger“; Next Generation Sequencing (NGS), Panel-Diagnostik auf NGS-Basis, Hochdurchsatzsequenzierung …
Beschreibung / Funktionsprinzip / Hintergrund
Von wachsender Bedeutung sind insbesondere die neuen bzw. “modernen” Methoden der Chip- und Panel-Diagnostik. Hier liegen auch die größten Nutzen- und Risiko-Potentiale, wobei die Risiken neben der Kostenseite dieser Untersuchungen vor allem ethische und sozialmedizinische Fragen (also auch Fragen der Verwertbarkeit der Ergebnisse, des konkreten gesundheitlichen Nutzens) betreffen.
Sowohl das Next Generation Sequencing (NGS) als auch die Anwendung komplexer Gen-Chips benötigen eine qualitätsgesicherte bioinformatische Infrastruktur für die Auswertung und Interpretation der Daten, um zu verwertbaren Ergebnissen zu kommen.
Der wachsende Einsatz speziell der modernen Methoden der Genanalyse bzw. Mutationsanalyse geht auf der einen Seite mit hohen Kosten einher, birgt aber auf der anderen Seite ein Potential für erhebliche gesundheitliche Verbesserungen und auch mögliche langfristige Einspareffekte aufgrund frühzeitigerer und gezielterer Behandlungen.
Derzeit ist noch nicht absehbar, an welchen Stellen und in welchem Umfang den allgemeinen Kosten Einsparungen innerhalb des Gesundheitssystems gegenüberstehen werden. In Einzelfällen wurden echte gesundheitliche Vorteile aber schon realisiert.
Leistungspflichten der GKV – grundsätzliche Betrachtungen
Hinsichtlich der Frage, ob genetische Untersuchungen Leistungen der Krankenbehandlung im Sinne des § 27 Abs. 1 SGB V darstellen, ist zwischen diagnostischen genetischen Untersuchungen und prädiktiven genetischen Untersuchungen zu differenzieren.
a) Diagnostische genetische Untersuchungen sind dann notwendiger Teil der Krankenbehandlung, wenn sie zur Abklärung einer bestehenden Erkrankung oder gesundheitlichen Störung eingesetzt werden.
Unstrittige Kassenleistungen sind in der Regel solche Untersuchungen, die fixer Bestandteil einer Arzneitherapie laut Fachinformation eines Arzneimittels sind. Diese werden auch als “Companion Diagnostic” bezeichnet.
Untersuchungen, die vor Beginn einer Therapie ärztlich empfohlen werden, ohne dass dies in einer Fachinformation geregelt ist, können hingegen zu negativen Leistungsentscheidungen der Krankenkassen führen mit der Begründung, dass die Diagnostik nicht notwendig ist.
b) Prädiktive Untersuchungen sind grundsätzlich ebenfalls in der vertragsärztlichen Versorgung abrechenbar:
- Voraussetzung dafür, dass prädiktive genetische Untersuchungen Maßnahmen der Krankenbehandlung im Sinne des § 27 Abs. 1 SGB V darstellen, ist das Vorliegen einer Krankheit.
- Leistungen, die notwendig sind, Krankheiten zu verhüten, können gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 3 SGB V ebenfalls Ansprüche der Versicherten begründen. Eine solche Notwendigkeit ist gegeben, wenn die gesundheitliche Situation eines/einer Versicherten ohne die prädiktive Untersuchung in eine behandlungsbedürftige Krankheit (nach § 27 Abs. 1 SGB V) übergehen würde.
- Leistungen zur Früherkennung von Krankheiten nach § 25 SGB V könnten prinzipiell auch in Form von genetischen Untersuchungen in Frage kommen. Allerdings führt z. B. die Krebsfrüherkennungs-Richtlinie genetische Untersuchungen bisher nicht auf. Risikoadaptierte Früherkennungsprogramme gemäß Empfehlungen des Nationalen Krebsplans sehen jedoch bereits heute teilweise auch genetische Untersuchungen bestimmter Risikopersonen vor (Beispiel: Untersuchung auf BRCA1-bei familiärem Mammakarzinom).
c) Auch vorgeburtliche Untersuchungen können Leistungen der GKV sein.
Grundsätzlich müssen alle genetischen Untersuchungen, diagnostische sowie prädiktive, den allgemeinen Bestimmungen der §§ 12 Abs. 1, 2 Abs. 1 S. 3 SGB V entsprechen, wenn eine gesetzliche Krankenkasse dafür aufkommen soll.
Molekulargenetik im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung:
Der Gesetzgeber hat der Molekulargenetik in Form “neuer humangenetischer Leistungen” in dem Abrechnungskatalog für vertragsärztliche Leistungen (Gebührenkatalog, EBM) einen eigenen Stellenwert verliehen, indem in § 87 Abs. 3e Satz 1 SGB V folgendes aufgenommen wurde:
Der Bewertungsausschuss beschließt
1.bis spätestens zum 31. August 2017 eine Verfahrensordnung, in der er insbesondere die Antragsberechtigten, methodische Anforderungen und Fristen in Bezug auf die Vorbereitung und Durchführung der Beratungen sowie die Beschlussfassung über die Aufnahme in den einheitlichen Bewertungsmaßstab insbesondere solcher neuer Laborleistungen und neuer humangenetischer Leistungen regelt, bei denen es sich jeweils nicht um eine neue Untersuchungs- oder Behandlungsmethode nach § 135 Absatz 1 Satz 1 handelt,
Aus diesem Gesetzestext folgt logischerweise, dass es sich bei “neuen humangenetischen Leistungen”, die in den allermeisten Fällen neue molekulargenetische Techniken umfassen, nicht automatisch um so genannte “neue Methoden gemäß § 135 Absatz 1 Satz 1 SGB V” handelt.
Gebührenordnungspositionen für genetische Untersuchungen sind im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) u.a. im Abschnitt 8.5 (Reproduktionsmedizin), im Abschnitt 11 (Humangenetische Gebührenordnungspositionen); hier speziell in dem Abschnitt 11. 4 “In-vitro-Diagnostik konstitutioneller genetischer Veränderungen” sowie im Kapitel 19, Abschnitt 19.4 “in-vitro-Diagnostik tumorgenetische Veränderungen” (“Tumorgenetische Diagnostik”, Methoden der Molekularpathologie) aufgeführt. Einzelne molekulargenetische Untersuchungen finden sich darüber hinaus im Kapitel 32.3.14 Molekulargenetische Untersuchungen des EBM.
Achtung:
Pharmakogenetische Untersuchungen stellen derzeit nur zur Indikationsstellung einer Tumortherapie vertragsärztliche Leistungen dar – und finden sich im Kapitel 19.4.
Die meisten molekulargenetischen Tests können sowohl diagnostisch als auch prädiktiv angewendet werden. Besteht eine spezifische Gebührenordnungsposition im EBM für einen (diagnostischen) Test auf das Vorliegen einer bestimmten Mutation bei einer Erkrankung, so bedeutet das nicht, dass dieser Test auch mit prädiktiver Zielsetzung nach dieser EBM-Position abgerechnet werden darf!
Grundsätzlich kann man davon ausgehen, dass alle in der Diagnostikliste des Berufsverbands Deutscher Humangenetiker (BVDH, www.hgqn.de) oder des europäischen Netzwerkes Orphanet (www.orphanet.net) aufgeführten Untersuchungen – bei rechtfertigender Indikation – Bestandteil der Regelversorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung sind.
Modellvorhaben
§ 64e SGB V verpflichtet den Spitzenverband Bund der Krankenkassen, für alle Krankenkassen ein Modellvorhaben zur umfassenden Diagnostik und Therapiefindung mittels einer Genomsequenzierung bei seltenen und bei onkologischen Erkrankungen vertraglich zu vereinbaren. Der Vertrag muss bis 01.01.2024 geschlossen sein.
Noch im März 2023 hatte das Das “Hopp-Kindertumorzentrum Heidelberg“ (kurz: KiTZ) darüber informiert, dass das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) und das Universitätsklinikum Heidelberg (UKHD) Verträge zur besonderen Versorgung nach § 140a SGB V (Selektivvertrag) mit mehreren AOKs und Betriebskrankenkassen über die Kosten für die Entschlüsselung des Tumorgenoms im Rahmen des des Programms INFORM abgeschlossen hatten.
Den Webseiten des Verbandes der Ersatzkassen kann unter der Rubrik “Besondere Versorgung” entnommen werden, dass der Verband einen Vertrag zur Exom-Diagnostik bei Patienten mit unklarer Diagnose und dem Verdacht auf eine seltene Erkrankung mit der Charité – Universitätsmedizin Berlin, dem Universitätsklinikum Bonn und dem Universitätsklinikum Tübingen geschlossen hat; einen Vertrag mit dem Nationalen Netzwerk Genomische Medizin hinsichtlich der molekulare Diagnostik bei Lungenkrebs sowie Verträge mit verschiedenen Zentren für Familiären Brust- und Eierstockkrebs, was auch molekulargenetische Diagnostik einschließen dürfte.
Weblinks:
- Anatomy of a Comparative Gene Expression Study
- Berufsverband Deutscher Humangenetiker e.V. (BVDH)
- Bioinformatics Research at the Institute for Molecular Biotechnology
- Deutsche Gesellschaft für Humangenetik e.V.
- Gemeinschaftspraxis für Humangenetik & Genetische Labore Hamburg: Analysenspektrum
- Gutachten “Kostenübernahme genetischer Untersuchungen … durch die GKV” von Prof. Dr. Stefan Huster im Auftrag des Deutschen Ethikrates
- HGQN – Humangenetisches Qualitätsnetzwerk
- MVZ Martinsried: Medizinische Genetik – Humangenetik
- MVZ Martinsried: Molekulare Pathologie
- S2-Leitlinie Humangenetische Diagnostik und genetische Beratung der Deutschen Gesellschaft für Humangenetik e.V. (GfH) und des Berufsverbandes Deutscher Humangenetiker e.V. (BVDH)
- Wikipedia(de): Kategorie Humangenetik
- Wikipedia(de): DNA-Analyse – Wikipedia
- Wikipedia(en): Molecular genetics – Wikipedia