Die Vorschriften des Arzneimittelgesetzes (AMG) regeln den Umgang mit (nach § 22 AMG) zugelassenen sowie auch mit noch in der Entwicklung befindlichen Arzneimitteln.
Systematische Erprobungen neuer Arzneimittel – und die systematische Erprobung zugelassener Arzneimittel außerhalb ihres zugelassenen Anwendungsbereiches – dürfen gemäß Arzneimittelrecht (AMG) nur im Rahmen von Arzneimittelprüfungen (= klinische Studien) stattfinden.
Nach Europäischem Arzneimittelrecht (und deutschem Arzneimittelgesetz) ist eine ordnungsgemäße Studiendurchführung zwingend an eine Begutachtung des Studienprotokolls durch eine unabhängige Ethikkommission und den Abschluss einer Patientenversicherung gebunden.
Darüber hinaus müssen alle genehmigten klinischen Arzneimittelstudien in Europa bei der Europäischen Arzneimittelagentur EMA registriert und mindestens in dem europäischen Studienregister (Clinicaltrialsregister) aufgelistet sein. Sie können darüber hinaus auch noch in weiteren Studienregistern eingetragen sein.
Neben diesen Anforderungen an die Durchführung klinischer Studien formuliert das Arzneimittelgesetz prinzipielle Voraussetzungen, unter denen überhaupt eine Arzneimittelforschung an Menschen betrieben werden darf. Hierzu heißt es in § 40a Abs. 1 AMG (Allgemeine Voraussetzungen für die klinische Prüfung)
Über die Voraussetzungen nach der Verordnung (EU) Nr. 536/2014 hinaus darf eine klinische Prüfung nur durchgeführt werden, solange
1. ein Sponsor oder ein Vertreter des Sponsors bei rein nationalen sowie bei national und in Drittstaaten durchgeführten klinischen Prüfungen vorhanden ist, der seinen Sitz in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum hat,
2. die Person, bei der die klinische Prüfung durchgeführt werden soll (betroffene Person) nicht auf gerichtliche oder behördliche Anordnung in einer Anstalt untergebracht ist,
3. für den Fall, dass bei der Durchführung der klinischen Prüfung … der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt wird, eine Versicherung … nach folgenden Maßgaben besteht: …
4. nach dem Stand der Wissenschaft im Verhältnis zum Zweck der klinischen Prüfung eines Arzneimittels, das aus einem gentechnisch veränderten Organismus oder einer Kombination von gentechnisch veränderten Organismen besteht oder solche enthält, unvertretbare schädliche Auswirkungen nicht zu erwarten sind …
Im aktuellen – AMG findet sich an mindestens 19 Stellen die Formulierung
“Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse …“
Diese Formulierungen im Arzneimittelgesetz können so verstanden werden, dass eine kontrollierte klinische Forschung, nach den (inzwischen in Deutschland außer Kraft getretenen) Regeln Guter klinischer Praxis (GCP-Verordnung), eine Behandlung sicherstellen muss, die dem anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht.
In der Vergangenheit waren keine entsprechenden Qualitätsanforderungen an die klinische Forschung im Arzneimittelgesetz verankert. Daher hatte z. B. das Bundessozialgericht in einem Urteil vom 22.07.2004 mit dem Aktenzeichen B 3 KR 21/03 R noch folgendes ausgesprochen:
“… Ein finanzielles Engagement der Krankenkassen auf diesem Gebiet ist deshalb in aller Regel nicht geboten … Etwas anderes mag allenfalls dann gelten, wenn bei fehlendem wirtschaftlichen Interesse der pharmazeutischen Unternehmer an der Erforschung neuer Arzneimittel – etwa wegen mangelnder Marktfähigkeit des zu entwickelnden Produkts, z.B. bei seltenen Erkrankungen (orphan diseases) – gleichzeitig ein öffentliches Interesse an der Erforschung eines bestimmten Arzneimittels oder einer neuen Therapie besteht; dann sind ggf. staatliche Förderprogramme in Erwägung zu ziehen oder andere Anreize zu geben (Sachverständigenrat, Sondergutachten 1997 aaO Ziffer 2.5.2 RdNr 205).”
“Der klinische Versuch ist […] dadurch gekennzeichnet, dass er gerade nicht die Standardbehandlung ist und folglich auch nicht dem Maßstab des § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V entsprechen kann.”
Die Formulierung des BSG-Urteils vom 22.07.2004 setzte den Begriff der “Standardbehandlung” mit dem Begriff des “anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse” gleich. Damit war im Jahr 2004 der Leistungsmaßstab der gesetzlichen Krankenversicherung die “Standardbehandlung” . Die Standardbehandlung definierte nach diesem rechtlichen Verständnis zugleich auch den “anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse” .
Die Gleichsetzung des “anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse” mit einer (einzigen) “Standardbehandlung” wurde in der aktuellen Fassung des fünften Sozialgesetzbuches nicht in gleicher Form fortgeführt. Dort heißt es jetzt im § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V:
“Qualität und Wirksamkeit der Leistungen haben dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen.”
Insofern scheinen zwar die aktuellen gesetzlichen Rahmenbedingungen einer Beteiligung der Krankenkassen an der Erforschung auch neuer Arzneimittel nicht mehr grundsätzlich entgegen zu stehen.
Dennoch ist im Sozialgesetz eine Möglichkeit der Kostenübernahme der gesetzlichen Krankenkassen für klinische Studien mit noch nicht zugelassenen Arzneimitteln nicht erklärt.
Diesbezüglich ist auf § 63 Abs. 4 SGB V zu verweisen, wonach Fragen der biomedizinischen Forschung sowie Forschungen zur Entwicklung und Prüfung von Arzneimitteln und Medizinprodukten von der Erforschung im Rahmen von Modellvorhaben ausdrücklich ausgenommen sind.
Anmerkung:
Das Arzneimittelgesetz enthält Regelungen zur Finanzierung von Arzneimittelstudien, da per Gesetz zwingend ein “Studien-Sponsor” erforderlich ist, welcher die Kosten der Studie zu tragen hat. Bei kommerziellen Studien ist der “Sponsor” zwar nicht immer der jeweilige Hersteller; wird jedoch vom Hersteller bestimmt. Das Ergebnis einer Arzneimittelstudie kommt normalerweise dem Hersteller zu Gute, da von dem Ergebnis eine Zulassung und damit die Möglichkeit der Vermarktung abhängen.
Aus diesem Grund enthält auch der § 35c SGB V, zu der Erprobung der zulassungsüberschreitenden Anwendung von Arzneimitteln eine Bedingung, wonach pharmazeutische Unternehmer, die kommerziellen Nutzen aus einer entsprechenden Studie ziehen, den Krankenkassen entstandene Kosten zurückerstatten müssen.