In der Folge des so genannten “Patientenrechtegesetzes” wurde im fünften Sozialgesetzbuch der § 13 Abs. 3a SGB V eingeführt, der bestimmte Fristen für die Bearbeitung von Leistungsanträgen an die Kranken- und Pflegekassen vorschreibt.
Stellen gesetzlich Krankenversicherte bei ihrer Krankenversicherung Anträge auf Leistungen, muss die gesetzliche Krankenkasse über den jeweiligen Antrag sachlich innerhalb von 3 Wochen nach Eingang des Antrages entscheiden. Wenn sie den Antrag bewilligt, ist dies unproblematisch. Entscheidet sie nicht innerhalb von drei Wochen und lehnt später ab, fingiert das Gesetz aufgrund der Fristüberschreitung eine Bewilligung der Leistung durch die gesetzliche Krankenkasse. Hier hilft der Krankenkasse auch keine spätere Ablehnung mehr. Sofern die Krankenkasse den MDK mit einer gutachtlichen Stellungnahme beauftragt, muss sie innerhalb von insgesamt fünf Wochen sachlich entscheiden.
Alle Leistungen, die vor Inanspruchnahme genehmigt werden müssen, unterliegen gesetzlichen Fristen-Regelungen.
Die Fristen nach § 13 Abs. 3a SGB V gelten für Leistungen aus den Bereichen Fahrkosten, Haushaltshilfen, häusliche Krankenpflege, Hilfsmittel, Psychotherapie, Vorsorge und Rehabilitationsleistungen sowie Zahnersatzleistungen, die i. d. R. in Form einer Sachleistung bewilligt werden.
Für Heilmittel mit langfristigem Behandlungsbedarf gilt nach § 32 Abs. 1a SGB V eine abweichende Frist von vier Wochen, die allerdings unterbrochen wird, wenn
“zur Entscheidung ergänzende Informationen des Antragstellers erforderlich sind”.
Für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation verweist § 13 Abs. 3a SGB V auch zusätzlich auf die Regelungen in § 14 SGB IX bis einschließlich § 24 SGB IX zur Koordinierung der Leistungen und zur Erstattung selbst beschaffter Leistungen.
Antragspflichtig sind darüber hinaus gemäß § 275 Abs. 1 SGB V auch gesetzliche “Leistungen in besonderen Fällen“, die außerhalb der Regelversorgung zu erbringen sind. Hierunter fallen z. B. neue Behandlungsmethoden. Für entsprechende Anträge gelten die Fristenregelungen nach § 13 Abs. 3a SGB V ebenfalls.
Bis einschließlich 2017 wurde der § 13 Abs. 3a SGB V von den Sozialgerichten durchaus unterschiedlich ausgelegt. Einige Gerichte vertraten die Auffassung, dass eine Genehmigungsfiktion (also eine Leistungsverpflichtung der Kasse bei Fristüberschreitung) grundsätzlich nur für Leistungen des Regelfall-Katalogs der GKV eintreten könnte.
Diese Auslegung ist aufgrund der Rechtsprechung durch das Bundessozialgericht in den Urteilen BSG, 11.07.2017 – B 1 KR 1/17 R (Liposuktion) und BSG, 11.07.2017 – B 1 KR 26/16 R (Adipositaschirurgie) mittlerweile jedoch unhaltbar:
In den beiden Urteilen BSG, 11.07.2017 – B 1 KR 1/17 R und BSG, 11.07.2017 – B 1 KR 26/16 R führte das BSG aus:
Ist die Genehmigung einer beantragten Leistung kraft Fiktion erfolgt, steht dies der Bewilligung der beantragten Leistung durch einen Leistungsbescheid mit der Rechtsfolge gleich, dass das in seinem Gegenstand durch den Antrag bestimmte Verwaltungsverfahren beendet ist und dem Versicherten – wie hier – unmittelbar aus der fingierten Genehmigung ein Anspruch auf Versorgung mit der Leistung zusteht. Beschafft sich der Versicherte während des Verfahrens die Leistung selbst und begehrt Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten, ändert sich die statthafte Klageart nicht. …
Die Regelung ist auch sachlich anwendbar. Denn die Klägerin verlangt weder unmittelbar eine Geldleistung noch Erstattung für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation (Reha), sondern Erstattung für selbstbeschaffte Krankenbehandlung. Die Regelung erfasst ua Ansprüche auf Krankenbehandlung, nicht dagegen Ansprüche gegen KKn, die unmittelbar auf eine Geldleistung oder auf Leistungen zur medizinischen Reha gerichtet sind …
Grundvoraussetzung des Erstattungsanspruchs aufgrund Genehmigungsfiktion ist nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats, dass die beantragte Leistung im Sinne des Gesetzes nach Ablauf der Frist als genehmigt gilt (§ 13 Abs 3a S 6 SGB V). Das folgt aus Wortlaut und Binnensystem der Norm, Entstehungsgeschichte und Regelungszweck …
Der Antrag betraf eine Leistung, die die Klägerin für erforderlich halten durfte und die nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der GKV lag. Wie der Senat bereits entschieden hat (vgl BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33, RdNr 25 f mwN), bewirkt die Begrenzung auf “erforderliche Leistungen” nach § 13 Abs 3a S 7 SGB V eine Beschränkung auf subjektiv für den Berechtigten erforderliche Leistungen, die nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der GKV liegen. Die Regelung soll es dem Berechtigten einerseits erleichtern, sich die ihm zustehenden Leistungen zeitnah zu beschaffen, ihn andererseits aber nicht zu Rechtsmissbrauch einladen, indem sie Leistungsgrenzen des GKV-Leistungskatalogs überwindet, die jedem Versicherten klar sein müssen. Die Klägerin durfte aufgrund der fachlichen Befürwortung ihres Antrags durch ihre Ärzte Liposuktionen zur Behandlung ihres Lipödems für geeignet und erforderlich halten, ohne Einzelheiten zu den Voraussetzungen ambulanter und stationärer Leistungserbringung wissen zu müssen. …
… Versicherte, denen ihre KK rechtswidrig Leistungen verwehrt, sind nicht prinzipiell auf die Selbstbeschaffung der Leistungen bei zugelassenen Leistungserbringern verwiesen. …
Die Auslegung des § 13 Abs. 3a SGB V durch das Bundessozialgericht wird mit dem Sanktionscharakter der Genehmigungsfiktion begründet:
Bei einer Beschränkung auf Leistungen, die die den sonstigen Leistungsvoraussetzungen des SGB V genügen müssen, brächte das Gesetz keine Neuerung, da Prüfungsumfang und Zeitdauer des Verfahrens durch eine nachträgliche Überprüfung praktisch wieder identisch mit den Verfahren vor Inkrafttreten der Regelung wären. Somit hätte die Neuregelung in der Praxis keine spürbar positiven Effekte für den Schutz der Patientenrechte.