Bioäquivalenz

Wirkstoff-Verfügbarkeit

Bioäquivalenz ist definiert als Bioverfügbarkeit zwischen 80 bis 125 % (innerhalb eines 90%-Konfidenzintervalls). Dadurch sind de facto Schwankungen der Bioverfügbarkeit zwischen einzelnen Arzneimitteln von fast 50% nach gesetzlicher Definition erlaubt und möglich.
Wenn ein Therapiewechsel unmittelbar von einem Generikum mit noch erlaubter, aber vergleichsweise niedriger Bioverfügbarkeit auf ein anderes Generikum mit noch erlaubter, aber vergleichsweise hoher Bioverfügbarkeit stattfindet, kann der Unterschied in der Bioverfügbarkeit zwischen beiden Präparaten also fast 50% betragen. Der Wechsel kann theoretisch in jeder Richtung zu Problemen führen; es können entweder Wirkungsverluste oder Wirkungsverstärkungen bei betroffenen Patienten auftreten.
Im ungünstigen Fall könnte auch bereits der Wechsel vom Originalpräparat auf ein Generikum mit noch erlaubter, aber vergleichsweise besonders niedriger oder hoher Bioverfügbarkeit zu klinischen Problemen führen. Hierdurch kann es theoretisch ebenfalls zu Unverträglichkeitsreaktionen kommen.
Ob ein solcher Mechanismus im Einzelfall tatsächlich eine Rolle spielt, wäre nur durch aufwendige Untersuchungen der im jeweiligen Einzelfall eingenommenen unterschiedlichen Präparate (auch jeweils gleiche Chargen) zu klären.

Dass die Bioverfügbarkeit eine wesentliche Rolle bei der Verträglichkeit spielen kann, zeigt ein Fall aus Frankreich. Dort wurde auf Anordnung der französischen Zulassungsbehörde ANSM (Agence nationale de sécurité du médicament et des produits de santé) die Zubereitung des Medikaments Euthyrox® so verändert, dass die garantierte Bioverfügbarkeit des Hormons über den gesamten angegebenen Lagerzeitraums der Präparate in einem Bereich zwischen 95 und 105% liegt.
Das Präparat mit der entsprechend geänderten Zubereitung wurde in Frankreich seit März 2017 als Levothyrox® bei Patienten mit Schilddrüsenfunktionsstörungen eingesetzt. Seither kam es zu einem starken Anstieg von Nebenwirkungsmeldungen und sogar zu staatsanwaltlichen Ermittlungen gegen der Hersteller Merck.
Laut Aussagen der Firma betraf die Änderung der Zusammensetzung des Medikaments aber weder die Sicherheit noch die Wirksamkeit von Euthyrox®, der Wirkstoff – Levothyroxin-Natrium – sei im alten Euthyrox® und im neuen Levothyrox® identisch.
Quelle: DAZ online Stuttgart / Lyon – 04.10.2017, 17:55 Uhr

Ein ähnliches Problem mit einem Original-Arzneimittel war vor mehreren Jahren bei dem Präparat Lamictal® (Wirkstoff Lamotrigin) der Firma GlaxoSmithKline aufgetreten. Patienten unter jahrelanger Lamictal®-Medikation zeigten plötzlich toxische Spiegel und entsprechende klinische Zeichen, obwohl ihre Dosis nicht verändert worden war. Es stellte sich heraus, dass der Hersteller den Produktions-Standort gewechselt hatte, was zu einer – scheinbar unbedeutenden Variation im Herstellungsprozess geführt hatte:

Eine aktuelle, äußerst sorgfältig durchgeführte Studie aus Saudi-Arabien, die nur unverzögert freisetzende Medikamente ohne komplexe Formulierung untersuchte, kam zu dem Schluss, dass bei den untersuchten 42 Medikamenten die Unterschiede zwischen den verschiedenen Generika sowie zwischen Generika und Originalpräparaten nicht größer waren als die Schwankungen innerhalb ein- und desselben Präparates:

Wirkstoff-Freisetzungscharakteristik und Zeitverlauf

Bei der Feststellung der Bioäquivalenz wird das Freisetzungsverhalten des Wirkstoffs über die Zeit nicht speziell geprüft (besonders von Bedeutung bei manchen Retard-Präparaten).

Eine Studie fand in einigen wenigen Proben deutliche Unterschiede der pharmazeutischen Qualität, die sowohl die Austauschbarkeit des Originals gegen das Generikum als auch der verschiedenen Generika untereinander in Frage stellten:

Eine Untersuchung zur Austauschbarkeit von Opioid-Produkten kam zu der Schlussfolgerung, dass eine systematische Überwachung neu zugelassener Opioide mit verzögerter Wirkstoff-Freisetzung erforderlich ist, um die Produkt-Unterschiede hinsichtlich Sicherheit, Austauschbarkeit und Wirksamkeit zu erfassen:

Die Autoren einer anderen Arbeit erarbeiteten den Vorschlag, die Kurven der Wirkstoffkonzentration im Zeitverlauf im direkten Vergleich zur Beurteilung der Bioäquivalenz heranzuziehen:

Bioäquivalenz bei komplexen Arzneimittel-Produkten

Die Autoren um Hussaarts stellten fest, dass Kriterien für die Qualitätsbeurteilung von Nachahmerprodukten komplexer Arzneimittelprodukte erst noch festgelegt werden müssen (Publikationsjahr 2017!).

Literatur

Die Autoren um Arnet überprüften die pharmazeutische Qualität von acht generischen Ceftriaxon-Produkten, die in Ostasien hergestellt worden waren. Alle acht Produkte entsprachen nicht den geforderten Standards und wiesen zudem Verunreinigungen auf:

Es wurden zwei verschiedene unretardierte Amoxicillin-Generika untersucht. Bei einem der untersuchten Produkte wurde die Bioäquivalenz mit einem Originalprodukt nicht bestätigt.

Zu der Studie von Del Tacca et al. wurde ein Kommentar publiziert:

Der Kommentar enthält die wichtige Klarstellung, dass der fehlende Nachweis der Bioäquivalenz nicht als Beweis dafür gelten kann, dass die Bioäquivalenz tatsächlich nicht vorhanden ist. Sie wurde nur nicht nachgewiesen.

Die Autoren der Studie von Gasser et al. fanden, dass alle der sieben untersuchten Generika einen oder zwei der festgesetzten Qualitätsparameter nicht einhielten. Die Autoren sahen darin kein grundsätzliches Wirksamkeits-Problem. Sie sahen hierin aber die Erklärung für Probleme beim Präparate-Wechsel, insbesondere vom Originalprodukt auf eines der getesteten generischen Arzneimittel:

Pathak et al. untersuchten bei 12 gesunden Probanden zu jeweils acht Zeitpunkten die Serumkonzentrationen von Amoxicillin. Für das untersuchte generische Produkt wurde die Bioäquivalenz mit einem Originalprodukt nicht bestätigt:

Weitere Publikation:

Die Publikation von Stockmann et al. untersuchte anhand der Daten des US-amerikanischen Studienregisters “Clinicaltrials.gov” die Qualität der dort registrierten Studien zu Bioäquivalenz und Bioverfügbarkeit von Arzneimitteln. Es wird summarisch festgestellt, dass die Qualität der entsprechenden Studien sich über die Zeit verbessert habe. Es wird aber auch festgestellt, dass es Hinweise darauf gebe, dass die grundsätzliche Herangehensweise an Bioäquivalenz- und Bioverfügbarkeits-Studien überdacht werden sollte, um eine zeitnahe und ökonomisch tragbare Arzneimittelversorgung auch in der Zukunft zu ermöglichen.

Die Publikation von Trippe et al. liefert Anhaltspunkte dafür, dass vermehrte Nebenwirkungsmeldungen (ICSR= individual case safety reports; hier in der WHO-Datenbank VigiBase® durchgeführt) dazu genutzt werden könnten, Medikationsprobleme durch Medikamentenwechsel oder durch Qualitätsmängel zu entdecken:

Cross-references

Links to

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